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Die Herrschaft Wiepersdorf von 1900-1945

Handkarte des Fideikommisses Ländchen Bärwalde, 1907. Forstverwaltung der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg

Der Maler Achim von Arnim-Bärwalde stirbt am 8. Februar 1891 – einsam, ledig und ohne Nachkommen. Auf dem Familienbegräbnis neben der Wiepersdorfer Kirche findet er seine letzte Ruhe. Als Erben kommen nach den Regelungen der Familienstiftung (Fideikommiss) seine Vettern Erwin Kühnemund (1862-1928), Ottmar (1864-1929) und Annois von Arnim (1865-1942) an die Reihe, nach der geltenden Primogenitur ist aber allein der Erstgeborene Erwin Kühnemund verfügungsberechtigt. Dieser konzentriert sich auf die Bewirtschaftung des Gutes Zernikow, Annois verwaltet und bewirtschaftet für den Bruder Wiepersdorf-Bärwalde, Ottmar das Gut Blankensee in der Uckermark.

Nach Dissonanzen mit seinem Bruder Erwin Kühnemund zieht sich Annois 1925 auf das seit 1764 zum Arnimschen Familienbesitz gehörende Gut Burow zurück. Erwin Kühnemund bleibt in Zernikow, da dort Wald-, Forst- und Landwirtschaft ertragreicher sind. Dazu gehört auch der „Schulzenhof“, den 1954 der Schriftsteller Erwin Strittmatter übernahm. Die Güter im Ländchen Bärwalde werden an zwei Inspektoren verpachtet.

Mit der Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er Jahre gerät das Gut Blankensee an den Rand des Bankrotts. Da das Fideikommiss zur Auflage macht, die Güter als Ganzes zu erhalten, muss dringend Vermögen generiert werden. Doch ein Unheil kommt selten allein: Am 22. Mai 1928 kommt der 65-jährige Erwin Kühnemund bei einem Unfall ums Leben.

 

 

 

Um Hab und Gut in der Gesamtheit für die Familie zu retten, kommen die Brüder Annois und Ottmar mit dem Neffen Friedmund von Arnim (1897-1946) – Sohn des verunglückten Erwin Kühnemund – überein, den literarischen Nachlass des Dichterpaares Bettina und Ludwig Achim von Arnim aus dem Herrenhaus in Wiepersdorf 1929 vom Berliner Auktionshaus Karl Ernst Henrici versteigern zu lassen.

 

Aus den von Petra Heymach, der Enkelin von Bettina Encke von Arnim (1895-1971), veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass Friedmund von Arnim seinen Schwager Walther Encke (1893-1941) und den Schriftsteller Werner Wilk (1900-1970) zuvor mit der Sichtung des Nachlasses in Wiepersdorf beauftragt hatte. Zur Versteigerung kommen laut Auktionskatalog Nr. 148 „Bettine von Arnim: Literarisches und Politisches aus ihrem handschriftlichen Nachlass, darunter Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, nach Auktionskatalog Nr. 149 „Arnim und Brentano: Des Knaben Wunderhorn; Handschriftliches aus dem Nachlass der Bettine von Arnim“ sowie nach Auktionskatalog Nr. 155 „Handschriftlicher Nachlass der Bettine von Arnim, dritter und letzter Teil“.

 

Goethes Briefwechsel mit Bettina gelangt in die USA. Anderes wird von privaten Käufern und vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main erworben. Dort kommen mit der Zeit kontinuierlich weitere Nachlassteile der Familie zusammen, so dass die Bestände gegenwärtig „10 Kartons Arnim, Bettine v., geb. Brentano (1785-1859), Werke, Briefe, empfangene Briefe, Dokumente“ und „14 Kartons Arnim, Ludwig Achim v. (1781-1831), Werke, Briefe, empfangene Briefe, Dokumente“ umfassen.

 

Am 17. September 1930 heiratet Friedmund von Arnim Clara von Hagens (1909-2009). Die Witwe Erwin Kühnemunds, Agnes geborene von Baumbach (1874-1959), verlässt Zernikow und zieht 1930 mit ihren unverheirateten Töchtern Walpurga (1901-1986), Marilies (1904-1986) und Gudrun (1901-1958) nach Wiepersdorf. Ihre älteste Tochter Bettina (1895-1971) hatte Zernikow bereits mit 22 Jahren verlassen und gegen den Willen des Vaters in Berlin ein Malstudium bei dem Spätimpressionisten und Porträtmaler Leo Freiherr von König und dem deutsch-lettischen, expressionistischen Maler Johann Walter-Kurau begonnen. Am 8. Mai 1921 heiratet sie in Wiepersdorf einen Freund ihres Bruders Friedmund von Arnim, den Polizeimajor Walther Encke. Das Paar bekommt zwei Töchter, Gunhild (1922-2013) und Ortrud (geb. 1923), und lebt zunächst in Berlin.

 

Walther Encke wird infolge seines Widerstands gegen den „Preußenschlag“ 1932 vom Dienst suspendiert und vorübergehend inhaftiert. Immer häufiger zieht sich die Familie nun auf die Güter Zernikow und Wiepersdorf zurück, wo Encke in der Zaunfabrik seines Schwagers arbeitet. Die Kinder leben bereits ganz bei der Großmutter Agnes in Wiepersdorf. Da seit der Versteigerung des Dichternachlasses das Interesse an Wiepersdorf gestiegen war, nehmen die Enckes die Arbeit am Rest-Nachlass von Achim und Bettina von Arnim wieder auf. Sie betreuen Archiv und Bibliothek und empfangen 1935 die Dichter Günter Eich (1907-1972), Peter Huchel (1903-1981) und Eberhard Meckel (1907-1969). Nach ihren Aufenthalten entstehen die Gedichte „Wiepersdorf“ von Peter Huchel und „Wiepersdorf, die „Arnimschen Gräber“ von Günter Eich.Dem Literaturhistoriker Werner Milch (1903-1950), der 1939 ins Exil gehen muss, wird für sein Buchprojekt über „die junge Bettine“ Einblick in die Sammlung gewährt. Der französische Essayist André Germain (1882-1971) bereitet hier sein 1939 in Paris erscheinendes Buch „Goete et Bettina“ vor. Der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts und Leiter des Frankfurter Goethemuseums Ernst Beutler bemüht sich in Wiepersdorf um den Erwerb weiterer Stücke aus dem Nachlass.

 

Als Walther Encke 1941 plötzlich stirbt, zieht Bettina Encke von Arnim endgültig nach Wiepersdorf und überlässt Freunden und Verfolgten während der Kriegsjahre ihre Wohnung in Berlin, so dem Maler Fritz Kuhr (1899-1975), dessen Werke 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt werden, und dem KPD-Reichstagsabgeordneten Iwan Katz (1889-1956), der aus einem Zwangsarbeiterlager fliehen und in Wiepersdorf untertauchen konnte. 1944 wurde er entdeckt, zuerst nach Auschwitz und später nach Mauthausen deportiert. Er überlebte.

 

Am 22. April 1945 wird das Wiepersdorfer Haus von Russen besetzt. Die 67-jährige Agnes von Arnim, drei jüngere Schwestern Friedmunds von Arnim, Bettina Encke von Arnim sowie ihre Töchter Ortrud und Gunhild verlieren ihre Wohnung im Herrenhaus. Bettina Encke von Arnim übernimmt die Rolle eines Familienoberhauptes und setzt sich für den Erhalt des Hauses und das Bleiben der Familie ein. Das vorläufige „Bleiberecht“ in Wiepersdorf erreicht sie unter anderem mit Hilfe des alten Freundes Iwan Katz, der nun in der Berliner Stadtverwaltung arbeitet. In mehreren Schreiben an die Behörden in Brandenburg stellt er „den Revolutionsgedanken der Dichterin Bettina von Arnim mit der politischen Haltung ihrer Urenkelin Bettina Encke von Arnim“ in einen Zusammenhang und spricht ihr eine „auf Tradition fußende politische Grundhaltung“ zu. Als Siedlerin wird Bettina Encke von Arnim daraufhin bei der Aufteilung des Gutes im Zuge der Bodenreform berücksichtigt, obendrein gelingt es, überregionales Interesse an dem Haus zu wecken.

 

Durch das „Bleiberecht“ wird Bettina Encke in der Zeit zwischen 1945 bis 1947 aber auch Zeugin der sich abzeichnenden Missstände in Wiepersdorf und der dazugehörigen Anlage: Die im Haus befindlichen Kulturschätze sind durch Vandalismus und Plünderung auf das Höchste gefährdet. Um eine kulturelle Nutzung des Hauses zu befördern, die ihrer Auffassung nach am ehesten das literarische Erbe schützen würde, spricht sie sich öffentlich für den Erhalt eines „Restgutes“ aus. Sie wird daraufhin „als Saboteurin an der Siedlungsaktion“ denunziert und gemeinsam mit ehemaligen Gutsinspektoren in Luckenwalde inhaftiert. Nach 14 Tagen erreicht sie zwar ihre Haftentlassung, ihr „Bleiberecht“ und das ihrer Familie in Wiepersdorf endet jedoch mit der Kreisverweisung auf Befehl Nr. 60/80 der „Sowjetischen Militäradministration“ im September 1947. Die Gründung einer deutschen Dichterstiftung Wiepersdorf im Jahr 1946 hat sie vor Ort noch miterlebt und befördert.

 

Den ausführlichen Text zu „Die Herrschaft Wiepersdorf 1900-1945" aus der Magisterarbeit „Die Herrschaft Wiepersdorf im 20. Jahrhundert" (1997) von Jürgen Stich finden Sie auf der nachfolgenden PDF.

 

Die Herrschaft Wiepersdorf 1900-1945

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Wiepersdorf vor 1945

Damals wars: Wiepersdorfer Ansichten

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