Die Auflösung der bisherigen Verwaltungsstrukturen führte in der Provinz Brandenburg zu chaotischen Zuständen. In weiten Teilen der Bevölkerung herrschte Ungewissheit über die Zukunft. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln war nicht gesichert. Der Flüchtlingsstrom aus dem Osten ergoss sich in die Provinz. Die Anwesenheit der Besatzungsarmee, trotz zahlreicher Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, war zunächst ein stabilisierender Faktor. Die sowjetischen Kommandanten übernahmen die Entscheidungsgewalt. Ihre erste Sorge galt den eigenen Soldaten. Erst in zweiter Linie richteten sie ihr Augenmerk auf das Überleben der einheimischen Bevölkerung.
Kurz nach der Besetzung der Herrschaft Wiepersdorf am 22. April 1945 bezog ein Offizier das Gutshaus. Das Schloss wurde zur Kommandantur. Es war unversehrt, bot mit der Innenausstattung und seiner geschützten Lage ein sicheres und repräsentatives Quartier. Entscheidend für die Standortwahl war der gute Zustand des Gutsbetriebes. Die landwirtschaftlichen Geräte reichten für die Bewirtschaftung aus.
Im Großraum Jüterbog, wo in den Kasernenkomplexen „Altes Lager“, „Jüterbog II“ und „Neues Lager“ nun Truppenteile der Roten Armee stationiert waren und außerdem ein großes Flüchtlingslager eingerichtet worden war, wurden große Mengen an Nahrungsmitteln benötigt. Die Kommandantur in Wiepersdorf hatte die Aufgabe, die Ernte sicherzustellen.
Die Kommandantur konservierte vorerst die alten Strukturen der Gutsherrschaft. Im Sommer 1945 wurden auf dem Gut etwa 7.000 Zentner Kartoffeln „abgeerntet und gelagert“. Sie blieben im Besitz der Roten Armee. Im Frühjahr 1946 ergab eine „kurze Übersicht“ über das „Gut Wiepersdorf mit Vorwerk Herbersdorf“ folgende Naturalbestände, die „hier in Wiepersdorf lagern (und) der roten Armee gehören“: 4.500 Zentner Kartoffeln (darunter 100 Zentner Frühbote); 400 Zentner Hafer; 100 Zentner Wintergerste; 80 Zentner Lupinenhafer; 174 Zentner Erbsen (davon 14 Zentner Gemüseerbsen); 100 Zentner Roggen; 40 Zentner Gemenge und 200 Zentner Sommergerste. Dazu kamen noch 1.000 Zentner Heu und 4.000 Zentner Kartoffeln, die sich die Besatzungsarmee in Bärwalde vorbehalten hatte.
Der Einfluß des Wiepersdorfer Kommandanten wurde spürbar geringer, als die Befehlsabläufe innerhalb der Roten Armee zentralisiert wurden. Die Gutsherrschaft fiel in die Zuständigkeit des Jüterboger Kommandanten Fatoff. Bärwalde unterstand der Kommandantur Dahme. Die Kreis- und Bezirkskommandanten zogen die Verantwortung für die Belange der Städte und Gemeinden an sich. Örtliche Kommandanturen wurden aufgelöst. Bereits im November 1945 war der „für Wiepersdorf zuständige Kommandant“ nur noch „selten in Wiepersdorf anwesend“.
Die Soldaten ließen das Restgut von ehemaligen Gutsarbeitern, Flüchtlingen und Neusiedlern unter der Leitung des Inspektors Franz Krienitz für den eigenen Bedarf bewirtschaften. Die beschäftigten Flüchtlingsfamilien wurden im Schloß und im südlichen Seitenflügel, dem sogenannten Inspektorhaus, untergebracht. Die etwa 40 Hektar große Ackerfläche umfasste den besten Boden und war für einen intensiven Gemüseanbau mit verstärkter Viehzucht gut geeignet. Dieses Urteil bestätigte der Leiter der Provinzial-Güterverwaltung, Reusch, nach einem Besuch im April 1946. Für ihn war „das noch nicht aufgesiedelte und bisher von der Roten Armee bewirtschaftete Ackerland“ eindeutig „der beste Teil des Betriebes, vorwiegend Bodenklasse 2“, wobei die günstigen Boden- und Klimaverhältnisse einen „starken Gemüsebau“ begünstigten.
Die Freigabe des Restgutes erfolgte schrittweise und zog sich über das ganze Jahr 1946 hin. Allerdings schrumpfte das Truppenkontingent in Wiepersdorf bereits im Februar 1946 auf drei Soldaten zusammen. Mit der Organisation des Betriebes hatten sie wenig zu tun. Um die Frühjahrsbestellung insgesamt sicherzustellen, wurde die Bewirtschaftung der Güter Wiepersdorf und Bärwalde zentral durchgeführt. Provinzialverwaltung und Landrat befürworteten diese Vorgehensweise, weil, wie sich nach einer Besichtigung der örtlichen Verhältnisse herausgestellt hatte, „50% der Siedlerfrauen nicht über die nötigen Arbeitskräfte, Inventarien und Saatgut“ verfügten. Um diesen Zustand zu beenden, drängte der Landrat im Februar 1946 darauf, „daß im Rahmen des Gesetzes zur Bodenreform die Eigentumsübertragung an den von der Russischen Einheit belassenen Inventarien ... auf die einzelnen Siedler alsbald vorgenommen werden müsse“. Daraufhin übergaben die Soldaten im März 1946 den Traktor, den Mähdrescher und 15 Ackerpferde an die Gemeinde. Die Besitzrechte an den Gutsgebäuden und der Nutzfläche blieben ungeklärt.
Im Frühjahr und Sommer 1946 beschränkten sich die Soldaten auf die Viehzucht. Ein „kleines Viehkommando der Roten Armee“ betreute 38 Kühe, 32 Stück Jungvieh, 53 Schweine und 200 Schafe. Sämtliches Vieh wurde im Juni 1946 in das Alte Lager bei Jüterbog verlagert. Nach diesem Abzug verblieb noch ein Soldat in Wiepersdorf, der gemeinsam mit Flüchtlingsfamilien das Schloß bewohnte. Sein Name ist uns mit „Alexander“ überliefert. Seine Anwesenheit blockierte bis Oktober 1946 die Klärung des Schicksals von Schloß und Restgut. Obwohl sich die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV) in Berlin, die Provinzialverwaltung in Potsdam und die Kreisverwaltung Luckenwalde nachdrücklich für Räumung und verschiedene Nutzungsprojekte einsetzten, waren den Selbstverwaltungsorganen die Hände gebunden. Offensichtlich waren die Besatzer nicht bereit, das Gutshaus freizugeben.
Den ausführlichen Text zur „Sowjetischen Kommandantur“ aus der Magisterarbeit „Die Herrschaft Wiepersdorf im 20. Jahrhundert" (1997) von Jürgen Stich finden Sie auf der nachfolgenden PDF.
Zwischen Wiepersdorf und Altes Lager