Mit der Eröffnung des Künstlerhauses im August 1992 und den von der „Stiftung Kulturfonds“ ausgewählten Stipendiaten wird deutlich, dass es bei diesem Verfahren (allein) nicht bleiben kann. Mit den Maßstäben von Künstlersozialämtern und soziokulturellen Einrichtungen würde der Ort alsbald in Vergessenheit geraten. Es lag nahe, das Modell „Villa Massimo“ auf seine Brauchbarkeit zu überprüfen. Dort werden für jeweils ein Jahr Stipendien an 10 von den Bundesländern und einer nationalen Jury ausgewählte Künstler vergeben. Kriterien: „Die Stipendiaten sind in der Regel um die 40 Jahre alt, verfügen über außergewöhnliche Qualifikationen und großes Talent in den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Literatur und Musik und weisen bereits erste öffentliche Erfolge auf.“ Im September 1992 ergreifen Persönlichkeiten aus Ost und West die Initiative. Sie plädieren für eine von den Bundesländern und der Stiftung Kulturfonds unabhängige Jury. Für Wiepersdorf sollen jährlich 16 Stipendiaten für einen Aufenthalt von jeweils 5 Monaten vorgeschlagen werden. Das Stipendium soll sich an den „Vergütungen“ für die „Villa Massimo“ orientieren. Der Stiftungsrat der Stiftung Kulturfonds hat am 9. September 1992 die Berufung der Jury beschlossen. Ein Beschluss zu „besseren Vergütungen“ wurde vertagt. Diese Ausgaben sollen in den Entwurf für den Haushaltsplan 1993 der beabsichtigten Schloss Wiepersdorf GmbH eingearbeitet werden.
Die Jury
Der Schriftsteller Friedrich Dieckmann wird 1937 Landsberg an der Warthe geboren. Der Sohn des langjährigen Präsidenten der Volkskammer der DDR studiert Germanistik, Philosophie und Physik an der Universität Leipzig. Von 1972 bis 1976 ist er Dramaturg am Berliner Ensemble. Ab 1970 ist er Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR und ab 1972 Mitglied des PEN.
Der Kunsthistoriker Matthias Flügge wird 1952 in Demmin geboren. Von 1972 bis 1976 studiert er an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1977 bis 1984 ist er Redakteur der Zeitschrift „Bildende Kunst“. 1992 wird er Mitglied des Kuratoriums Stiftung Kunstfonds.
Der Bildhauer Wieland Förster wird 1930 in Dresden geboren. 1953 beginnt er in Dresden ein Studium der Bildhauerei. 1958 bewirbt er sich um ein dreijähriges Meisteratelier an der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin. 1961 wird ihm wegen „Formalismus“ vorzeitig gekündigt. Förster zieht sich zurück. Die Plastiken entstehen in einem Berliner Ladenatelier, die großen Sandsteinskulpturen auf seinem Grundstück bei Oranienburg. Wieland Förster ist seit 1974 ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR. 1991 tritt er aus der Akademie der Künste wegen für ihn mangelnder Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit aus.
Die Schriftstellerin Sarah Kirsch (1935-2013) wird in Limlingerode bei Nordhausen geboren. Von 1954 bis 1958 studiert sie Biologie in Halle (Saale) und erlangt den Titel einer Diplom-Biologin. Von 1960 bis 1968 ist sie mit dem Lyriker Rainer Kirsch verheiratet. In den Jahren 1963 bis 1965 studiert sie am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. 1965 wird Sarah Kirsch Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR. 1967 veröffentlicht sie den Gedichtband „Landaufenthalt“. 1969 erscheint ihre Lyrik im westdeutschen Verlag Langewiesche-Brandt. Als Erstunterzeichnerin der Protesterklärung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wird sie 1976 aus der SED und dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. 1977 kann Sarah Kirsch mit ihrem Sohn nach West-Berlin übersiedeln. 1978 wird sie Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik. 1992 lehnt sie eine Berufung an die Berliner Akademie der Künste ab, da diese ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit Unterschlupf bietet.
Der Schriftsteller und Verleger Michael Krüger wird 1943 in Wittgendorf geboren. Nach dem Abitur absolviert er eine Lehre als Verlagsbuchhändler beim Herbig-Verlag. Nebenher ist er Gasthörer in Philosophie an der Freien Universität Berlin. Von 1962 bis 1965 arbeitet er als Buchhändler in London. Ab 1968 ist Krüger als Verlagslektor beim Carl Hanser Verlag tätig. Er wird 1986 literarischer Leiter und Geschäftsführer des Verlages.
Der Komponist György Ligeti wird 1923 in Târnăveni (Siebenbürgen) geboren. Sein Vater und sein Bruder werden 1945 im KZ ermordet. Seine Mutter überlebt das KZ Auschwitz-Birkenau. 1941 will er Physik und Mathematik studieren, wird aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft abgewiesen. Nach dem Krieg studiert er Musik. 1956 flieht er nach Wien und nimmt die österreichische Staatsbürgerschaft an. Von 1969 bis 1972 lebt Ligeti in Berlin. 1972 bis zu seinem Austritt 1992 ist er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er durch die Verwendung seines Orchesterwerks „Atmosphères“ im Film „Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick bekannt.
Der Historiker Christian Meier wird 1929 in Stolp/Pommern geboren. Der Sohn eines Landwirts besucht Gymnasien in Stettin, Rostock und Hamburg. 1948 legt er in Hamburg sein Abitur ab und studiert Geschichte, Klassische Philologie und Römisches Recht. Ab 1981 lehrt er als Professor für Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Meier ist von 1980 bis 1988 Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands. Er ist Mitbegründer der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich wird 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren. Von 1954 bis 1959 studiert er Germanistik und Linguistik an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Leipzig. 1960 wird er in Leipzig mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit über die „Phonologie des Obervogtländischen“ promoviert. Von 1959 bis 1976 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin. Nachdem Schädlich im Dezember 1976 den Protest von DDR-Autoren gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mit unterzeichnet, wird er seines Postens enthoben. 1977 erscheint im Rowohlt Verlag sein regimekritischer Text „Versuchte Nähe“. Der Schriftstellerverband der DDR wirft ihm „staatsfeindliche Hetze“ und eine „Herabwürdigung“ der DDR vor. 1977 kann er mit seiner Familie in die Bundesrepublik übersiedeln. Seit 1979 lebt er in Berlin. Hans Joachim Schädlich ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.
Als Beispiel: Ein Argument der Jury