Schloss Wiepersdorf liegt da, „wo der Park mit dem Wald schläft". So jedenfalls ortet Sarah Kirsch in ihrem 1973 entstandenen Gedichtzyklus „Wiepersdorf“ die Lage des barocken Herrenhauses. Wiepersdorf mit seinen 200 Einwohnern gehörte einst zusammen mit den Dörfern Meinsdorf, Rinow, Herbersdorf, Weißen und Kossin zum „Ländeken" Bärwalde. Die nächste Kreisstadt mit Bahnanschluss nach Leipzig, Potsdam und Berlin heißt Jüterbog. Der Ort, in dessen Nähe die Bundesländer Brandenburg, Freistaat Sachsen und Sachsen-Anhalt aufeinandertreffen, liegt etwa eine Autostunde südlich von Berlin, genau in der Mitte zwischen den Autobahnen, die Leipzig und Dresden mit der Hauptstadt verbinden.
Das Haus von Ludwig Achim von Arnim und seiner Frau Bettina, dessen Gebäude und Parkanlagen der Enkel und Maler Achim von Arnim-Bärwalde am Ende des 19. Jahrhunderts so umgestaltet hat, wie es der Betrachter heute vorfindet, wurde am 7. August 1992 als „Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf' eröffnet. Zum Gründungsdirektor wurde Peter Hahn ernannt. Unter seiner Leitung wurden 1992/93 Herrenhaus, Wirtschaftsgebäude, Orangerie und Park in einem ersten Schritt denkmalgerecht saniert. Der Historiker Jürgen Stich und der „Freundeskreis Schloss Wiepersdorf“ schufen im Haus die „Erinnerungsstätte Achim und Bettina von Arnim". Die drei Räume geben neben einem historischen Abriss der Geschichte und einer Würdigung des gestalterischen Wirkens von Achim von Arnim-Bärwalde Einblick in den Arnimschen Freundes- und Gesprächskreis mit Friedrich Carl von Savigny, Clemens Brentano und den Brüdern Grimm. Ein Zimmer mit zeitgenössischen Möbeln, Gemälden und Originaldokumenten würdigt das Wiepersdorfer Dichterpaar
Als Sarah Kirsch Pfingsten 1973 zum ersten Mal nach Wiepersdorf kam, öffneten sich hinter Jüterbog „der erste, der zweite Himmel, ließen herabströmen, was sich gesammelt hat". Als sie nach dem Fall der Mauer wiederkam schien die Sonne mehr als genug. Im Gästebuch liest man unter dem 21. Juni 1992 nun den folgender Eintrag: „Ehrwürdiges Haus wiederum mit dem zwiefachen Dach - schön wirst du auch wieder in neuer anderer Zeit und ich bin wohl wieder hier. Im Junius bei den Fröschen Grillen und Motten. Ging gleich bis zum Zeus der die einzige Macht hat. In Bettines Haus."
Direktor Peter Hahn
Meine Damen und Herren,
das alte Wiepersdorfer Gutshaus steht an einem neuen Anfang. Wo einst unter Gejammer Strümpfe gestopft wurden und die Romantik zu Hause war, wo sich Kulturschaffende in die romantische Nische flüchteten oder flüchten mußten und andere überlegten, ob sie auch mal an den König schreiben sollten, wo das Arbeits-und Erholungsheim für Schriftsteller und Künstler mehr und mehr zum Privileg wurde und nach der Wende jeder Weg nicht der richtige war, soll nun ein neuer Anfang gewagt werden.
Bevor ich im Sommer 1973 meine kürzeste, teuerste und vielleicht gefährlichste Reise antrat und die DDR fluchtartig verließ, gehörte ich nicht zu den Privilegierten, die in diesem Hause aufgenommen wurden. Ich konnte damit leben.
Als ich am späten Nachmittag des 29. April erfuhr, dass mich der Stiftungsrat der Stiftung Kulturfonds zum Direktor des Künstlerhauses Schloss Wiepersdorf bestellt hat, fühlte ich mich gar nicht privilegiert. Ich war glücklich, weil ein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Als wir, die Mitarbeiter dieses Hauses und die Handwerker, uns in diesem Sommer daranmachten, die verblichenen Farben von den Wänden zu wischen und dabei überlegten, wie denn die neue Farbe aussehen könnte, erhielten wir viele Ratschläge und noch mehr Besitzansprüche. Wir haben uns darauf geeinigt, dass Wiepersdorf in Wirklichkeit keinem gehört und keinem gehören kann. Und das ist gut so. Das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf gehört einer Idee.
Die Stiftung Kulturfonds, meine Mitarbeiter und ich haben mit dem heutigen Tag nur einen Anfang bestimmt. Was morgen bei den Wiepersdorfer Gesprächen, Anfang September beim Einzug der Stipendiaten, in den folgenden Monaten und hoffentlich in den nächsten Jahren aus diesem Haus wird, kann nicht von uns allein gerichtet, es kann von uns nur behutsam begleitet werden.
Ein Zitat zur rechten Zeit. Aufgeschrieben wurde es im Januar 1805 von Ludwig Achim von Arnim: „Was da lebt und wird und worin das Leben haftet, das ist doch weder von heute noch von gestern; es war und wird und wird sein; verlieren kann es sich nie, denn es ist.“
Ich möchte mich bedanken, vor allem bei den Mitarbeitern dieses Hauses, die in den letzten drei Monaten nicht nur einen neuen Direktor, sondern auch eine neue Zeit begreifen mussten, bei den Handwerkern der Region die hier ihr bestes gaben und doch viele Schwierigkeiten meistern mussten, die ihnen ihre westdeutschen Zulieferer machten, bei all denjenigen, die dieses Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, das kleine Museum und die Veranstaltungen ermöglicht haben – nicht zuletzt aber bei den Gästen der „Wiepersdorfer Gespräche“, die dem Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf durch ihre Teilnahme Mut machen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.