Hier finden Sie uns

Herrenhaus Wiepersdorf
Stierstr. 8
12159 Berlin

Kontakt

Rufen Sie einfach an unter

 

308516162 308516162

 

oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Sarah Kirsch

Sarah Kirsch, Peter Hahn und Jürgen Stich, Juni 1992. Foto Christa Rackwitz.

Sarah Kirsch, Wiepersdorf

 

1

Hier ist das Versmaß elegisch

Das Tempus Praeteritum

Eine hübsche blaßrosa Melancholia

Durch die geschorenen Hecken gewebt

 

2

Hinter Jüterbog öffneten sich

Der erste, der zweite Himmel, ließen herab-

Strömen, was sich gesammelt hat, siehe

Es wurde ein mächtiger blasenschlagender

Landregen draus, es goß sogar Schwefel.

Später in Wiepersdorf, als zwischen zwei

Windhosen die Möglichkeit war sich zu ergehen

Das liebe freie Land

Recht ins Auge zu fassen, war Freude

Freude. Die schönen Fenster im Malsaal

Öfters sechs mal vier kleine Scheiben, die Flügel

Von zierlichen Knebeln gehalten. Innen

Bizarres altes schlängelndes zipfelbemütztes

Kakteengewirr, außen

Maifrischer Park.

Die Steinbilder lächeln - ich ging

Gleich bis zum Zeus, der hielt den Blitz an der Stelle

Wo der Park mit dem Wald schläft. Englischer Rasen

Den bläuliches Waldgras verstrickt hat, es reckt

Noch ein Fliederbusch wirklich!

Vergißmeinnichtblaue Finger zum Himmel und

Selbstverständlich Unmassen Vögel ringsum

In Büsche und Bäume geworfen. Ich staunte

Vor Stunden noch enge im Hochhaus

In der verletzenden viereckigen Gegend, nun

Das - ich dachte bloß noch: Bettina! Hier

Hast du mit sieben Kindern gesessen, und wenn

Landregen abging

Muß es genauso geklappert haben Ende Mai

Auf die frischaufgespannten Blätter - ich sollte

Mal an den König schreiben

 

3

Eine Bannmeile schöner frischer Wald

Mit Kuckucken Holztauben und Rotbrüstchen

Habe ich um mich gelegt: unempfindlich

Geh ich im Wind, und der trägt

Nicht einen Seufzer mir zu. Gepanzert

Und obendrein

Einen Minengürtel Einzelheiten

Zierlich drapiert will ich nun bleiben

Auf freiem Feld. Selbst wenn die harten

Hagelschläge mich treffen, der Donner.

Abends mal ich den Teufel noch schwärzer

Dreh Dornen in den Rosenkranz, jede

Verwünschung; und hoffe

So über den Winter zu kommen in diesem Frühjahr.

 

4

Der Kuckuck rief den ganzen Tag und die Lerchen

Fielen wie Steine herab. Als die Sonne

Hinterm gekrümmten Walde gegangen war

Zitternd kam nun ein Nachtwind auf, der die Gardinen

Ordentlich flattern ließ - die zerrissen

Am rauhen Stein der Balustrade.

Ich sah die Hecken geschoren und leer

Unter Buchen ziehen, die Bilder

Der arm- und kopflosen Götter sehr leuchten

Ach und der Schloßteich, das grüne Ufer, vergessen

Mit seinen Entenhäuschen, den Leichen

Der neugeborenen Katzen, ein staubiger Spiegel

Sah er mich an. Im Irrgarten steht

Jelängerjelieber und duftet herauf.

Hier trink ich das Tränklein Vergessen, hier spiel ich

Die Herrin der Bilder und Meubeln bis dann

Nach Tagen das Leben im praktischen Hochhaus

Mich wieder nimmt, in dem ich wie vorher

Bin, nur ein Name im Heidenkalender verstrichen

 

5

Ehrwürdiges schönes Haus

Mit dem zwiefachen Dach — doppelt

Allein bin ich da und dem Wetter, dem hellen

Dem knatternden Hagel, so mildem Mond

Ausgesetzt. Ach ich gedenke

Der rührenden Zeit, als fast eines Bruders

Zärtliche Hand mich morgens geweckt hat und fröhlich

Ein Tag der Zwilling des vorigen war. Was bin ich

Inzwischen umhergefahren. Und eifrig

War ich bemüht, Apollon zu fassen und gleichfalls

Ein hübsch klopfendes menschliches Herze erbeuten —

Vergebens. Deshalb

Hab ich nur mich, einen winzigen Knaben und die sich mehrende

Anzahl der Jahre und hin und wieder

Schön schwimmendes Wolkengetier

 

6

Nun beginnen die Frösche; Scharen

Weißflügliger Motten und größerer Schwärmer

Stürzen sich in mein Licht - nichts los

In diesem frühschlafenden Land-Strich hinter den Wäldern

Mitunter wenn ich so wach bin, und

Angewidert vom Pflichtbewußtsein, lediglich ich

Bekam keinen Schlüssel, das Bargeld gezählt hab, renne ich

In flatternden Mondschein hin durch den Wald.

Der Mensch ist hier gut, das Geld stimmt immer:

Hier rollen nur gegen Morgen um vier

Drei Stunden Panzer vorbei und die Landschaft

Sieht am Tage verwunschen aus. Wo ein Weg war

Jetzt eine Schlucht. Schwarze Bauersfrauen auf Rädern

Rufen: es muß

Abwechslung geben.

Wo ich nach Seifenlappen frage im Konsum erfahr ich

Ein Haus und zwei Mann überfahren, es war

Eine mondlose Nacht.

 

7

Ich sitze im Schloß — Edi und Elke

In ihrer Mühle. Abends

Haben sie und auch ich

Diese verstiegenen Falter

Seltsamer Farbe und Zeichnung

In unseren Räumen. Ich liege

Auf einem Biedermeiersofa, Edi

Gewiß auf dem Feld-Bett, die älteren Dichter

Wälzend und prüfend. Und Elke

Geht mit ihren verblichenen Schuhen

Noch um das Haus. Da sieht sie

Heute der Sperber an, da denkt sie

An mich hier in diesem

Volkseignen Schloß wo private

Unken Kummer mir vorschrein

 

8

Hier ist das so: wenn die Störche

Endlich auf ihren Schornsteinen schlafen

Fangen die Frösche

Gierig zu schreien an.

Sie blühn auf, meine Lampe

Trifft ihre gelben beutligen Kehlen, ihr Rücken

Durchstößt schwärzeste Wasser, licht

Liegt das im Pflanzengewirr. Wenn die Katzen

Immer zur selben Stunde schleichen

Fürchten die Mäuse

Für ihre süße fünfschwänzige Brut. Zu der Zeit

Rauche ich die dunkelsten Schwaden und fluche

Du Schönhäutiger Schwacher Verfuckter

Dichselberliebender schöngraues

Schielendes Aug ach geh weck

 

9

Dieser Abend, Bettina, es ist

Alles beim alten. Immer

Sind wir allein, wenn wir den Königen schreiben

Denen des Herzens und jenen

Des Staats. Und noch

Erschrickt unser Herz

Wenn auf der anderen Seite des Hauses

Ein Wagen zu hören ist.

 

10

Der Hermaphrodit geht im Park Spazieren

Ich verberge mich zwischen den Zwergen

Der mit dem Clowns-Mund, die Puderperücke

Vertraut mir: der Un-Mensch

Geht um die Zeit noch und wartet

Dort auf einen, endlos zu klagen. Ich danke

Mein Kleiner aus Marmor für diesen Wink, da leg ich

Dir meine Hand, ich muß mich bücken, liebvoll

Auf den großen gewichtigen Kopf und schlage

Schnell einen Bogen um jenes Wesen.

 

11 Männliches Steinbild im Park

Leider leider werden die Damen

Immer schnurriger. Was die nicht mehr

Können und alles vermögen! Die trennn sich

Dreimal im Leben von Diesem und Jenem, die schleppen

Nur das Nötige mit die Kinder, die Arbeit

0 wie mir graut!

 

Sarah Kirsch: Rückenwind. Aufbau-Verlag Berlin/Weimar 1976

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Herrenhaus Wiepersdorf