Sarah Kirsch, Wiepersdorf
1
Hier ist das Versmaß elegisch
Das Tempus Praeteritum
Eine hübsche blaßrosa Melancholia
Durch die geschorenen Hecken gewebt
2
Hinter Jüterbog öffneten sich
Der erste, der zweite Himmel, ließen herab-
Strömen, was sich gesammelt hat, siehe
Es wurde ein mächtiger blasenschlagender
Landregen draus, es goß sogar Schwefel.
Später in Wiepersdorf, als zwischen zwei
Windhosen die Möglichkeit war sich zu ergehen
Das liebe freie Land
Recht ins Auge zu fassen, war Freude
Freude. Die schönen Fenster im Malsaal
Öfters sechs mal vier kleine Scheiben, die Flügel
Von zierlichen Knebeln gehalten. Innen
Bizarres altes schlängelndes zipfelbemütztes
Kakteengewirr, außen
Maifrischer Park.
Die Steinbilder lächeln - ich ging
Gleich bis zum Zeus, der hielt den Blitz an der Stelle
Wo der Park mit dem Wald schläft. Englischer Rasen
Den bläuliches Waldgras verstrickt hat, es reckt
Noch ein Fliederbusch wirklich!
Vergißmeinnichtblaue Finger zum Himmel und
Selbstverständlich Unmassen Vögel ringsum
In Büsche und Bäume geworfen. Ich staunte
Vor Stunden noch enge im Hochhaus
In der verletzenden viereckigen Gegend, nun
Das - ich dachte bloß noch: Bettina! Hier
Hast du mit sieben Kindern gesessen, und wenn
Landregen abging
Muß es genauso geklappert haben Ende Mai
Auf die frischaufgespannten Blätter - ich sollte
Mal an den König schreiben
3
Eine Bannmeile schöner frischer Wald
Mit Kuckucken Holztauben und Rotbrüstchen
Habe ich um mich gelegt: unempfindlich
Geh ich im Wind, und der trägt
Nicht einen Seufzer mir zu. Gepanzert
Und obendrein
Einen Minengürtel Einzelheiten
Zierlich drapiert will ich nun bleiben
Auf freiem Feld. Selbst wenn die harten
Hagelschläge mich treffen, der Donner.
Abends mal ich den Teufel noch schwärzer
Dreh Dornen in den Rosenkranz, jede
Verwünschung; und hoffe
So über den Winter zu kommen in diesem Frühjahr.
4
Der Kuckuck rief den ganzen Tag und die Lerchen
Fielen wie Steine herab. Als die Sonne
Hinterm gekrümmten Walde gegangen war
Zitternd kam nun ein Nachtwind auf, der die Gardinen
Ordentlich flattern ließ - die zerrissen
Am rauhen Stein der Balustrade.
Ich sah die Hecken geschoren und leer
Unter Buchen ziehen, die Bilder
Der arm- und kopflosen Götter sehr leuchten
Ach und der Schloßteich, das grüne Ufer, vergessen
Mit seinen Entenhäuschen, den Leichen
Der neugeborenen Katzen, ein staubiger Spiegel
Sah er mich an. Im Irrgarten steht
Jelängerjelieber und duftet herauf.
Hier trink ich das Tränklein Vergessen, hier spiel ich
Die Herrin der Bilder und Meubeln bis dann
Nach Tagen das Leben im praktischen Hochhaus
Mich wieder nimmt, in dem ich wie vorher
Bin, nur ein Name im Heidenkalender verstrichen
5
Ehrwürdiges schönes Haus
Mit dem zwiefachen Dach — doppelt
Allein bin ich da und dem Wetter, dem hellen
Dem knatternden Hagel, so mildem Mond
Ausgesetzt. Ach ich gedenke
Der rührenden Zeit, als fast eines Bruders
Zärtliche Hand mich morgens geweckt hat und fröhlich
Ein Tag der Zwilling des vorigen war. Was bin ich
Inzwischen umhergefahren. Und eifrig
War ich bemüht, Apollon zu fassen und gleichfalls
Ein hübsch klopfendes menschliches Herze erbeuten —
Vergebens. Deshalb
Hab ich nur mich, einen winzigen Knaben und die sich mehrende
Anzahl der Jahre und hin und wieder
Schön schwimmendes Wolkengetier
6
Nun beginnen die Frösche; Scharen
Weißflügliger Motten und größerer Schwärmer
Stürzen sich in mein Licht - nichts los
In diesem frühschlafenden Land-Strich hinter den Wäldern
Mitunter wenn ich so wach bin, und
Angewidert vom Pflichtbewußtsein, lediglich ich
Bekam keinen Schlüssel, das Bargeld gezählt hab, renne ich
In flatternden Mondschein hin durch den Wald.
Der Mensch ist hier gut, das Geld stimmt immer:
Hier rollen nur gegen Morgen um vier
Drei Stunden Panzer vorbei und die Landschaft
Sieht am Tage verwunschen aus. Wo ein Weg war
Jetzt eine Schlucht. Schwarze Bauersfrauen auf Rädern
Rufen: es muß
Abwechslung geben.
Wo ich nach Seifenlappen frage im Konsum erfahr ich
Ein Haus und zwei Mann überfahren, es war
Eine mondlose Nacht.
7
Ich sitze im Schloß — Edi und Elke
In ihrer Mühle. Abends
Haben sie und auch ich
Diese verstiegenen Falter
Seltsamer Farbe und Zeichnung
In unseren Räumen. Ich liege
Auf einem Biedermeiersofa, Edi
Gewiß auf dem Feld-Bett, die älteren Dichter
Wälzend und prüfend. Und Elke
Geht mit ihren verblichenen Schuhen
Noch um das Haus. Da sieht sie
Heute der Sperber an, da denkt sie
An mich hier in diesem
Volkseignen Schloß wo private
Unken Kummer mir vorschrein
8
Hier ist das so: wenn die Störche
Endlich auf ihren Schornsteinen schlafen
Fangen die Frösche
Gierig zu schreien an.
Sie blühn auf, meine Lampe
Trifft ihre gelben beutligen Kehlen, ihr Rücken
Durchstößt schwärzeste Wasser, licht
Liegt das im Pflanzengewirr. Wenn die Katzen
Immer zur selben Stunde schleichen
Fürchten die Mäuse
Für ihre süße fünfschwänzige Brut. Zu der Zeit
Rauche ich die dunkelsten Schwaden und fluche
Du Schönhäutiger Schwacher Verfuckter
Dichselberliebender schöngraues
Schielendes Aug ach geh weck
9
Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein, wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staats. Und noch
Erschrickt unser Herz
Wenn auf der anderen Seite des Hauses
Ein Wagen zu hören ist.
10
Der Hermaphrodit geht im Park Spazieren
Ich verberge mich zwischen den Zwergen
Der mit dem Clowns-Mund, die Puderperücke
Vertraut mir: der Un-Mensch
Geht um die Zeit noch und wartet
Dort auf einen, endlos zu klagen. Ich danke
Mein Kleiner aus Marmor für diesen Wink, da leg ich
Dir meine Hand, ich muß mich bücken, liebvoll
Auf den großen gewichtigen Kopf und schlage
Schnell einen Bogen um jenes Wesen.
11 Männliches Steinbild im Park
Leider leider werden die Damen
Immer schnurriger. Was die nicht mehr
Können und alles vermögen! Die trennn sich
Dreimal im Leben von Diesem und Jenem, die schleppen
Nur das Nötige mit die Kinder, die Arbeit
0 wie mir graut!
Sarah Kirsch: Rückenwind. Aufbau-Verlag Berlin/Weimar 1976